Einführung ins Thema

„Ökonomisierung im Krankenhaus: Zwischen Verantwortung und Profitstreben“ (Ärzteblatt, 2016), „‘Profite pflegen keine Menschen!‘ Berliner Klinikpersonal demonstriert gegen Missstände im Gesundheitswesen“ (Heine 2020), „Politik muss Rahmen gegen Kommerzialisierung der Medizin schaffen“ (Ärzteblatt 2020c), „[…] Kliniken müssen Patienten dienen, nicht Profit“ (Ärzteblatt 2020b), „Junge Ärzte wollen Abkehr von Profitorientierung“ (Ärzteblatt 2020a)– dies sind nur einige ausgewählte Schlagzeilen aus einer Vielzahl von publizierten Veröffentlichungen, die auf die Auswirkungen der Profitorientierung im Gesundheitswesen sowie in der Krankenhausversorgung aufmerksam machen. 

Diese Entwicklung nahm ihren Weg insbesondere seit der grundlegenden Reformierung der Krankenhausfinanzierung im Jahr 2003. In diesem Zusammenhang wurde unter anderem eine Finanzierung der Krankenhausbehandlungen über Fallpauschalen – sogenannte Diagnosis Related Groups (kurz DRGs genannt) – eingeführt, sowie die Möglichkeit, Gewinne in der Krankenhausversorgung zu erwirtschaften. Das DRG-System löste gänzlich die Finanzierung der Krankenhäuser im Rahmen des Selbstkostendeckungsprinzips ab und verfolgte unter anderem Ziele wie: Verringerung der Dauer des Krankenhausaufenthaltes von Patient*innen, Schaffung von mehr Transparenz über die anfallenden Kosten und Behandlungen, Stabilisierung der Krankenkassen-Ausgaben sowie mehr Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern (Simon 2019a; Simon 2019b, Beivers & Emde 2020). Es schuf die Grundlage dafür, dass Entscheidungen des Managements und der Verwaltung der Krankenhäuser deutlichen Einfluss auf die Art und Dauer der Behandlung nahmen, ohne die Entscheidungshoheit der Ärzt*innen für medizinische Fragestellungen offiziell in Frage stellen zu müssen.

Wie läuft die Finanzierung über DRGs ab? Das Krankenhaus erhält von den Krankenkassen für die Behandlung von Patient*innen Geld. Dies ist keine Vergütung der tatsächlichen Ausgaben, sondern für jede Behandlung gibt es einen pauschalen Geld-Betrag (dieser ist innerhalb eines Bundeslandes für alle Krankenhäuser gleich), unabhängig davon, ob höhere oder geringere Kosten bei der Behandlung angefallen sind. Von diesem Geld werden die Betriebskosten finanziert, also beispielsweise das Personal oder das Material, welches für die jeweilige Behandlung notwendig ist. Wenn z. B. hohe begleitende Medikamentenkosten anfallen oder durch Komplikationen oder Verzögerungen im Ablauf längere Liegezeiten und/oder höhere Behandlungs-Kosten entstehen, macht das Krankenhaus Verlust (Simon 2019a). 

Neben den regelmäßig anfallenden Betriebskosten gibt es in einem Krankenhaus auch unregelmäßige oder einmalige Kosten, beispielsweise für die Instandhaltung der Gebäude oder die Anschaffung von medizinischen Geräten. Diese Kosten werden als Investitionskosten bezeichnet. Zur Deckung der Investitionskosten erhalten die Krankenhäuser Gelder vom jeweiligen Bundesland (es bekommen nur solche Krankenhäuser Geld, welche zur Versorgung der Bevölkerung notwendig sind und somit ein Versorgungsauftrag vom Bundesland erteilt wurde). Es besteht damit eine duale (zweigleisige) Krankenhausfinanzierung und die Investitionskosten werden somit eigentlich nicht über die DRGs finanziert (Simon 2019a).   

Warum „eigentlich nicht“? In den meisten Bundesländern existiert ein Investitionsstau – das bedeutet die Bundesländer kommen ihren Pflichten zur Finanzierung der Investitionskosten nicht nach und die Krankenhäuser müssen selbst für diese Kosten aufkommen. Die Intention der Bundesländer dahinter ist, dass die Krankenhäuser aus ihren Gewinnen möglichst viel Investitionskosten selber bestreiten sollen. Hierfür werden bestimmte Maßnahmen ergriffen, um Gewinn aus den Betriebskosten abzuschöpfen, die ursprünglich ausschließlich für die medizinische Behandlung vorgesehen waren. Dies ist beispielsweise möglich, indem beim Personal gespart wird, mehr Patient*innen behandelt werden oder besser vergütete Behandlungen bevorzugt werden (Braun 2019; Bündnis Krankenhaus statt Fabrik 2019; Naegler & Wehkamp 2018).

Da, wie bereits erwähnt, DRGs nicht die tatsächlichen im Krankenhaus anfallenden Kosten abdecken, wird durch die Durchführung von bestimmten Behandlungen ein finanzieller Verlust verursacht. Die DRGs finanzieren beispielsweise keine zwischen-menschlichen Zuwendungen wie Gespräche oder bestimmte Vorhaltekosten wie die Freihaltung von Betten in Krisenzeiten (dies hat beispielsweise die Coronakrise verdeutlicht, da zu Beginn nicht ausreichend Intensivkapazitäten vorhanden waren). Diese Verluste müssen meistens durch andere Behandlungen ausgeglichen werden – dies geht nur, wenn ein Krankenhaus die für eine Behandlung vorgesehene DRG-Pauschale nicht ausschöpft, also weniger für die Behandlung ausgibt als es von der Krankenversicherung dafür bekommt (Schaffung von Anreizen zur Über-, Unter- und Fehlversorgungen) (Flintrop 2006; Bündnis Krankenhaus statt Fabrik 2019; Naegler & Wehkamp 2018). Die Auswirkungen, die von diesem Wettbewerbs- und Kostendruck ausgehen werden in den Abschnitten „Wusstest du, dass Krankenhäuser im derzeitigen System nicht nur auf das Wohl der Patient*innen achten müssen, sondern auch darauf, ob sich eine Behandlung finanziell lohnt?“ (https://solimedbremen.org/kampagne-keine-profite-mit-meiner-gesundheit/krankenhaus-behandlungen-mussen-sich-finanziell-lohnen/) und „Wusstest du dass, die derzeitige Krankenhausfinanzierung Anreize setzt, unnötige Behandlungen durchzuführen, wenn diese sich finanziell lohnen?“ (https://solimedbremen.org/kampagne-keine-profite-mit-meiner-gesundheit/durchfuhrung-unnotiger-behandlungen-aus-wirtschaftlichen-grunden/) nähererläutert.

Da es im derzeitigen Finanzierungssystem möglich ist, Gewinne zu erwirtschaften, ist das Krankenhaussystem attraktiv für private Investor*innen geworden. Private Krankenhäuser bieten oftmals ein selektives Angebot von Krankenhausleistungen an, spezialisieren sich häufig auf lukrativere Behandlungen und gehen somit ein geringeres finanzielles Risiko ein. Der Wettbewerb spitzt sich zu und Krankenhäuser – häufig mit frei-gemeinnütziger und kommunaler Trägerschaft – können sich nicht mehr refinanzieren und werden von privaten Trägerschaften aufgekauft. Dies führt dazu, dass immer mehr Geld aus dem Gesundheitssystem an private Aktionär*innen ausgeschüttet wird und nicht im System bleibt (Naegler & Wehkamp 2018; Bündnis Krankenhaus statt Fabrik 2019; Osterloh 2016). Diese Auswirkung wird im Abschnitt „Wusstest du, dass ein Teil deiner Krankenkassenbeiträge bei privaten Aktionär*innen landet?“ (https://solimedbremen.org/kampagne-keine-profite-mit-meiner-gesundheit/ausschuttung-von-gewinnen-an-private-aktionarinnen/) näher erläutert und diskutiert. 

Mit dieser Kampagne möchten wir auf die derzeitigen Fehlanreize der Krankenhausfinanzierung aufmerksam machen und darstellen, was für negative Auswirkungen Profite im Gesundheitswesen – insbesondere in der Krankenhausversorgung- für Patient*innen, für Bürger*innen und für Mitarbeitende des Krankenhauses bedeuten. Es ist uns wichtig, zu betonen, dass diese Auswirkungen UNS ALLE betreffen. Wir alle zahlen mit unseren solidarischen Beiträgen in die Krankenversicherung ein, um dadurch eine adäquate Gesundheitsversorgung von allen Bürger*innen gewährleisten zu können und nicht dafür, dass Gelder der Solidargemeinschaft bei privaten Aktionär*innen landen. Spätestens seit der Corona-Pandemie sollte jedem/jeder deutlich geworden sein, wie relevant es ist, dass wir eine gute funktionierende Gesundheitsversorgung haben und sich diese an erster Stelle am Patient*innenwohl orientiert. 

Es mangelt derzeitig immer noch an belastbaren Daten und Studien, welche die negativen Auswirkungen der Profitorientierung in der Krankenhausversorgung ausreichend und kausal belegen – und dies wird u. a. politisch als Vorwand genutzt, um weiter abzuwarten und nichts an der derzeitigen Situation zu ändern. Hierbei werden vorliegende Daten – vor allem aus qualitativen Interviews mit Krankenhaus Mitarbeitenden – die sehr deutlich zeigen, dass die Krankenhausfinanzierung so nicht weiter praktiziert werden kann und sich die Versorgung in einer Abwärtsspirale befindet, ignoriert und als nicht aussagekräftig abgetan. Die Stimmen, die auf diese Situation aufmerksam machen, werden jedoch immer lauter und können irgendwann nicht mehr ignoriert werden. Deswegen freuen wir uns sehr, wenn ihr uns eure Erfahrungen schreibt. Habt ihr als Patient*innen Erfahrungen mit Profitinteressen im Krankenhaus gemacht? Seid ihr Mitarbeitende eines Krankenhauses und bekommt die Auswirkungen direkt zu spüren? Dann teilt gerne eure Geschichten und schreibt sie entweder als Mail an uns oder kommentiert gerne unsere Beiträge. Wir gehen selbstverständlich vertraulich mit euren Beiträgen um und veröffentlichen nicht ungefragt. Wir sind sehr gespannt auf eure Meinungen und freuen uns immer über einen konstruktiven Diskurs!

Literatur:

Ärzteblatt (2016). Ökonomisierung im Krankenhaus: Zwischen Verantwortung und Profitstreben. Verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/71543/Oekonomisierung-im-Krankenhaus-Zwischen-Verantwortung-und-Profitstreben (21.08.2021).

Ärzteblatt (2020a). Junge Ärzte wollen Abkehr von Profitorientierung. Verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=1041&typ=1&nid=112338&s=profit (21.08.2021).

Ärzteblatt (2020b). Reinhardt: Kliniken müssen Patienten dienen, nicht Profit. Verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=1041&typ=1&nid=113141&s=profit (21.08.2021).

Ärzteblatt (2020c). Politik muss Rahmen gegen Kommerzialisierung der Medizin schaffen. Verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=1041&typ=1&nid=118093&s=profit (21.08.2021).

Beivers, A. & Emde, A. (2020). DRG-Einführung in Deutschland: Anspruch, Wirklichkeit und Anpassungsbedarf aus gesundheits-ökonomischer Sicht. In J. Klauber, M. Garaedts, J. Friedrich, J. Wasem & A. Beivers (Hrsg.), Krankenhausreport 2020, Finanzierung und Vergütung am Scheideweg (S. 3-25). Berlin: Springer-Verlag.

Braun, B. (2019). Das Innenleben des Krankenhauses – zwischen Bedarfsorientierung, Überversorgung, Personalmangel, professionellen Logiken und Strukturdefiziten. In A. Dieterich, B. Braun, T. Gerlinger & M. Simon (Hrsg.), Geld im Krankenhaus. Eine kritische Bestandsaufnahme des DRG-Systems (S. 69-105). Wiesbaden: Springer VS.

Flintrop, J. (2006). Auswirkungen der DRG-Einführung: Die ökonomische Logik wird zum Maß der Dinge. Verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/53507/Auswirkungen-der-DRG-Einfuehrung-Die-oekonomische-Logik-wird-zum-Mass-der-Dinge (22.08.2021).

Heine, H. (2020). „Profite pflegen keine Menschen!“ Berliner Klinikpersonal demonstriert gegen Missstände im Gesundheitswesen. Verfügbar unter: https://www.tagesspiegel.de/berlin/profite-pflegen-keine-menschen-berliner-klinikpersonal-demonstriert-gegen-missstaende-im-gesundheitswesen/25925932.html (21.08.2021).

Naegler, H. & Wehkamp, K. H. (2018). Medizin zwischen Patientenwohl und Ökonomisierung. Krankenhausärzte und Geschäftsführer im Interview. Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.

Osterloh, F. (2016). Krankenhäuser: Wenn Grundsatz auf Versorgung trifft. Verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/180814/Krankenhaeuser-Wenn-Grundsatz-auf-Versorgung-trifft (22.08.2021).

Simon, M. (2019a). Das deutsche DRG-System: Vorgeschichte und Entwicklung seit seiner Einführung. In A. Dieterich, B. Braun, T. Gerlinger & M. Simon (Hrsg.), Geld im Krankenhaus. Eine kritische Bestandsaufnahme des DRG-Systems (S. 3-29). Wiesbaden: Springer VS.

Simon, M. (2019b). Das deutsche DRG-System: Weder Erfolgsgeschichte noch leistungsgerecht. In In A. Dieterich, B. Braun, T. Gerlinger & M. Simon (Hrsg.), Geld im Krankenhaus. Eine kritische Bestandsaufnahme des DRG-Systems (S. 295-324). Wiesbaden: Springer VS.

Mohr FW et al, The German Aortic Valve Registry: 1 year-results from 13680 patients wicht aortic valve disease, European Journal of Thoracic Surgery 46 (2014) 808-816

Bündnis Krankenhaus statt Fabrik (2019): Fakten und Argumente zum DRG-System und gegen die Kommerzialisierung der Krankenhäuser. Verfügbar unter: https://www.krankenhaus-statt-fabrik.de/196 [15.08.2021].

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